
Demokratie, Bibel und Kirche
Sie war vorerst nicht von Dauer. Weltwirtschaftskrise, Austrofaschismus und Nationalsozialismus führten in die Katastrophe. Aus den Trümmern des 2. Weltkriegs wurde dann, als Antwort und Gegenentwurf vor 70 Jahren die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ verabschiedet.
In letzter Zeit scheinen die demokratischen Errungenschaften der Nachkriegszeit allerdings wieder verstärkt unter Druck zu geraten. In Demokratien zeigen sich verschiedene Krisenphänomene: Wirtschaftlich und sozial geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf. Autoritäre Tendenzen sowie Populismus bedrohen die Demokratie und die Rechte der Bürger/innen.
In zu vielen Ländern unserer Erde werden die Menschen nach wie vor unterdrückt und geknechtet. Dazu kommt, dass die globalen Machtverhältnisse keine demokratische Legitimierung aufweisen. In Österreich und Europa wird mancherorts in martialischer Sprache von der „Verteidigung des christlichen
Abendlandes“ gesprochen. Demokratische Errungenschaften, wie Minderheitenrechte oder Flüchtlingskonventionen stehen dieser selbst ausgerufenen Verteidigung vermeintlich im Weg. Vorschnell wird dann nach deren Abschaffung gerufen. Dabei wird meist wenig bedacht, dass gerade die Abschaffung demokratischer Errungenschaften das Bedrohliche ist. Denn dadurch
droht das Christliche im Abendland verlorenzugehen. Das Abendland bleibt, nur es wird autoritärer und damit paradoxerweise ähnlicher den Herrschaftsformen jener Länder, die es angeblich oder tatsächlich bedrohen. Christlich geht anders,
sucht solidarische Antworten. Vor diesem Hintergrund möchte dieser Artikel den Blick auf biblisch und dann auch kirchlich inspirierte Grundlagen der Demokratie richten. Die jüdisch-christliche Überlieferung hat nämlich einen zentralen Beitrag zur Entstehung der Menschenrechte geleistet.
Demokratie meint die Herrschaft, die vom Volk ausgeht. Sie lebt von den Rechten und Freiheiten, die einem Staatsvolk in Form von Verfassung oder Grundgesetz(en) zugesichert werden. Werden diese Rechte und Freiheiten beschnitten, leidet die Demokratie. Sie pervertiert zur autoritären Herrschaft, im schlimmsten Fall sogar zur Diktatur. Demokratie ist nicht nur eine Form der politischen Herrschaft. Sie ist weit mehr. Sie gestaltet das Zusammenleben von Menschen. Was durch sie ermöglicht oder verhindert wird, bestimmt unseren Alltag und unser Leben. Entstanden aus dem Widerstand gegen Zwang und Unterdrückung – in Österreich z.B. 1848, ein weiteres Jubiläum – kämpft sie gegen jede Form von Ungerechtigkeit und Diskriminierung.
Hier nährt sie sich auch von biblischen Texten. Die Exodus-Erfahrung, als Dreh- und Angelpunkt des alten Testaments, ist eine Befreiungserfahrung heraus aus Sklaverei und Unterdrückung. Eine historische, die aber immer wieder vergegenwärtigt werden kann. Bischof Erwin Kräutler bezieht seinen Einsatz für die Indios in Amazonien ganz bewusst auf diese Bibelstellen. Und auch das neutestamentliche Gebot der Nächstenliebe impliziert ein friedvolles Zusammenleben.
Immanuel Kant verweist diesbezüglich auf die Verbindung von Frieden und Demokratie. Allein schon dadurch, dass Demokratien untereinander keine Kriege – zumindest nicht im militärischen Sinne – führen. Doch was zeichnet eine Demokratie aus? Als zentrales Kriterium kann die am 10. 12. 1948 von der UNO-Generalversammlung verabschiedete „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ gelten. Zwei der für die Konzeption der Menschenrechte zentralen Ideen, stammen aus der christlich-jüdischen Überlieferung: nämlich die Idee der Menschenwürde und die der Gleichheit aller Menschen. Die Idee der Gleichheit wurzelt in der biblischen Aussage, die Menschen seien „Kinder Gottes“ untereinander, also Schwestern und Brüder. Der Mensch ist weiters Ebenbild Gottes. Daraus folgt, dass dem Menschen eine Würde und ein Wert zukommen. Und zwar unverdientermaßen und vollkommen unabhängig von Status, Leistung oder Vermögen. Das neugeborene Kind, die Friedensnobelpreisträgerin oder der Schwerverbrecher – sie alle haben grundsätzlich Anspruch auf dieselben Grundrechte.
Auch wenn die Katholische Kirche sich mit Demokratie, besonders in ihrer eigenen Institution, bis heute schwertut, gibt es in der Kirchengeschichte Beispiele, die Inspiration für die Entwicklung der Demokratie waren. In den frühen Jahrhunderten des Christentums wurden die Bischöfe vom Volk gewählt. Und das
Luther-Jahr hat u.a. in Erinnerung gerufen, dass die Reformation ganz zentral zur Vorgeschichte unserer europäischen Demokratie gehört. Martin Luther war auch so etwas wie der erste Demonstrant vor Kaiser und Reich. Eine Demonstration,
aus der heraus die erste soziale Bewegung entstanden ist, getragen von einer breiten Basis im Volk. Sie kann als die Urzelle der Zivilgesellschaft in Europa gelten. Die reformierten Protestanten gründeten zuerst in Schottland und den Niederlanden Synoden, in denen jeder mitbestimmen konnte. Damit standen
sie dem englischen Parlamentarismus Pate.
Das wahrscheinlich wirkungsmächtigste Ereignis für die Demokratie war die Übersetzung der Bibel ins Deutsche und der Buchdruck. Damit hatte die Bevölkerung plötzlich so etwas wie ein Partizipationsinstrument buchstäblich in der eigenen Hand. Aus der reformatorischen Idee des Lesens für alle entstand später die allgemeine Schulpflicht – Die Grundvoraussetzung für jede demokratische Teilhabegerechtigkeit überhaupt.
Mag. Wolfgang K. Heindl
Politikwissenschafter, Historiker, Theologe,
Organisationsentwickler & Referent bei SEI SO FREI